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Soll noch einer sagen, der »eiserne Kanzler« hätte keinen Humor gehabt. Zwei Tage vor Heiligabend 1853 musste er noch in einer Besprechung in Frankfurt sitzen. Vielleicht aus Frustration über den so kurz vor Weihnachten anberaumten Termin verfasste er während (!) des Vortrags eines »Darmstädter Kollegen« einen Brief an seine Schwester Malwine (»Malle«), in welchem er launig mit der Situation im Allgemeinen und einigen seiner Politikerkollegen im Speziellen abrechnet. Das liest sich dann so:
Liebe Malle!
Während ich genötigt bin, in der Sitzung einen ganz unglaublich langweiligen Vortrag meines, mit Erlaubnis zu sagen, Darmstädtischen Kollegen über die anarchischen Zustände in Ober-Lippe anzuhören, dachte ich darüber nach,wie ich diesen Moment utilisieren könnte, und als hervorragendstes Bedürfnis meines Herzens stellte sich ein Erguss brüderlicher Gefühle heraus. […]
Meine Lage wird etwas erschwert durch das Kreuzfeuer von Atem, dem ich zwischen meinen Nachbarn ausgesetzt bin. Der Geruch des erstern wird Dir noch in Erinnerung sein, es ist eine kräftige Mischung von unausgespülten hohlen Zähnen und mit etwas Rippe, wenn er den Rock öffnet. Der andre liefert den unverfälschten Ausdruck verdorbnen Magens vor dem Essen, die unausbleibliche Wirkung der Kombination häufiger und schwerer dîners bei geringer Körperbewegung, der natürliche Geruch der Diplomaten und Hofmarschälle.
Außer den Sitzungen geht es mir übrigens ganz gut; Johanna und Kinder sind wohl, erstre behauptet es wenigstens von sich […]
Theodor Stolberg vermisse ich übrigens schmerzlich als Maschinisten gesellschaftlicher Inszenierung. Sein Nachfolger Bork ist viel weniger Windkutscher und hat viel mehr gelernt, ist aber so wesentlich zur Zierde kleiner Kavalrie-Garnisonen oder höherer Landjunkerkreise prädestiniert, dass ich daran verzweifle […] Endlich hat Darmstadt zu lesen aufgehört und ich stürze gerührt in deine Arme und wünsche dir ein frohes Fest.
Zitiert nach Erich Brandenburg (Hrsg.): Bismarcks Briefe an Schwester und Schwager erschienen im Insel-Verlag: Leipzig 1930
„Bismarck in seinem Arbeitszimmer“. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons.